Ja, es stimmt: Die Effekte sind fantastisch. Alles stürzt zusammen, explodiert, zerkocht in heißer Lava, verschwindet in tiefen Rissen, und der Rest versinkt am Schluss in gigantischen Flutwellen. Nichts bleibt übrig, nur ein paar Menschen, vierhunderttausend etwa, die von dieser Katastrophe vorher wussten, ihr Wissen aber geheim hielten und in Windeseile gigantische Rettungsboote bauen ließen: Staatsoberhäupter, hohe Beamte, ausgewählte “Wissenschaftler und Künstler” und einige Milliardäre, die den ganzen Spaß bezahlt haben. Mit an Bord sind einige Kunstwerke und Tierarten. Man weiß ja nie.
Großartig auch, zum Teil, die Bildsprache: Im Himalaya-Hochgebirge baumeln Giraffen und Elefanten an Hubschrauberseilen ihrer Verschiffung entgegen, das Weiße Haus wird bei einer Flutwelle unter dem Flugzeugträger “U.S.S. Kennedy” begraben, und die Erläuterung des geologischen Phänomens “Erdkrustenverschiebung” übernimmt im Film kein gewichtiger Wissenschaftlerstab vor einer Batterie riesiger Flatscreen-Monitore und Terminals, sondern eine liebevoll zurechtgestümperte Flash-Animation.
Häufig, allzu häufig aber steckt der Film mit dem Arm bis zur Schulter im Klischeefass. Wo verläuft der erste Riss, bevor die Sixtinische Kapelle in Rom einstürzt? Genau: Exakt zwischen den berühmten Fingerspitzen. Wo wohnt der Verschwörungstheoretiker, der alles vorher gewusst hat? In einem vollgemüllten Wohnwagen. Überhaupt, die handelnden Personen: Jede einzelne Figur verdient den Präfix “Klischee-“. Es treten auf: Der Klischee-Russe (Milliardär, Ex-Boxer, rüpelhaft) mit seiner Klischee-Freundin (blond, schönheitsoperiert, mit Schoßhündchen) und zwei Klischee-Söhnen (aus erster Ehe, dick, verzogen), der Klischee-Präsident (edel, tüchtig, selbstlos) und sein Klischee-Stabschef (arrogant, zynisch, herzlos), ein Klischee-Wissenschaftler (bebrillt, gutaussehend, idealistisch), und, als Hauptfiguren, eine komplette Klischee-Scheidungsfamilie. Abziehbilder, allesamt, zum Mitfiebern untauglich. Unwillkürlich sucht man die bombastischen Szenen nach interessanteren Geschichten ab, findet aber keine. Nur Staffage, Menschenpuppen.
Also ergötzt man sich an den gigantischen Effektorgien, an der Zerstörungslust und an den durchchoreographierten Flucht- und Rettungsszenen. Verzeihlich, dass Risse im Boden und kollabierende Gebäude die Protagonisten grundsätzlich von hinten überfallen, als wäre der Weltuntergang kein Naturereignis, sondern ein sadistischer Schurke. Das ergibt zwar keinen Sinn, aber wunderschöne Verfolgungsjagden: Im Rücken der fliehenden Helden reißt krachend die Erde auf. Der ganze Film ist ein ungemein aufwändiger CGI-Porno – viel fürs Auge, nix fürs Hirn.
Wenn nach zweieinhalb Stunden dann alles vorbei ist und der scheußlichste Abspann-Song seit “Titanic” läuft, reift die Erkenntnis, dass der falsche Film gedreht wurde. Und man lieber 2011 oder 2013 gesehen hätte. In 2011 könnte verhandelt werden, wie sich die Menschheit auf einen Weltuntergang vorbereitet: Ist es legitim, 99,9 % der Erdbevölkerung im Ungewissen zu lassen? Ist es überhaupt möglich? Ist es zu ertragen? 2013 könnte zeigen, wie eine Restmenschheit eine neue Zivilisation errichtet. Wie sorgt man für Ordnung, wie verhindert man das Chaos? Wer erringt die Macht? Für diese Filme bräuchte man allerdings nicht nur CGI und tolle Bilder; man bräuchte gute Geschichten, ausgeklügelte Charaktere und den Willen, das Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu interessieren, gar zu irritieren. Für diese Filme bräuchte man also einen anderen Regisseur als Roland Emmerich.