Die Alben des Jahres 2009

23. December 2009

1. A Place to Bury Strangers – Exploding Head

Weil man immer noch ein bisschen lauter drehen muss.

APBTS bei myspace

2. Fight Like Apes – Fight Like Apes And The Mystery Of The Golden Medallion

Weil es nach dem Niedergang von Dover mal wieder Zeit wurde für eine richtig gute Rockband mit Frauenstimme.

Fight Like Apes – Tie Me Up With Jackets (youtube)

3. White Lies – To Lose My Life

Weil dieses wohlkomponierte Debut unglaublich reif kling – und das ist leider auch der Haken: Wer verhindert, dass diese Gruppe in vier Jahren die übernächsten U2 werden und nur noch Stadionrock machen?

White Lies bei Myspace

Lobende Erwähnungen

Bei diesen Alben ist der Funke nicht ganz übergesprungen, aber trotzdem waren sie ganz nett:

Und was kommt 2010? Eine neue Domain für dieses Blog, einige Tipps für die mündliche Doktorprüfung und endlich das lang angekündigte Gewinnspiel!


2012: Archen bauen, alle Klischees mitnehmen

12. December 2009

Ja, es stimmt: Die Effekte sind fantastisch. Alles stürzt zusammen, explodiert, zerkocht in heißer Lava, verschwindet in tiefen Rissen, und der Rest versinkt am Schluss in gigantischen Flutwellen. Nichts bleibt übrig, nur ein paar Menschen, vierhunderttausend etwa, die von dieser Katastrophe vorher wussten, ihr Wissen aber geheim hielten und in Windeseile gigantische Rettungsboote bauen ließen: Staatsoberhäupter, hohe Beamte, ausgewählte “Wissenschaftler und Künstler” und einige Milliardäre, die den ganzen Spaß bezahlt haben. Mit an Bord sind einige Kunstwerke und Tierarten. Man weiß ja nie.

Großartig auch, zum Teil, die Bildsprache: Im Himalaya-Hochgebirge baumeln Giraffen und Elefanten an Hubschrauberseilen ihrer Verschiffung entgegen, das Weiße Haus wird bei einer Flutwelle unter dem Flugzeugträger “U.S.S. Kennedy” begraben, und die Erläuterung des geologischen Phänomens “Erdkrustenverschiebung” übernimmt im Film kein gewichtiger Wissenschaftlerstab vor einer Batterie riesiger Flatscreen-Monitore und Terminals, sondern eine liebevoll zurechtgestümperte Flash-Animation.

Häufig, allzu häufig aber steckt der Film mit dem Arm bis zur Schulter im Klischeefass. Wo verläuft der erste Riss, bevor die Sixtinische Kapelle in Rom einstürzt? Genau: Exakt zwischen den berühmten Fingerspitzen. Wo wohnt der Verschwörungstheoretiker, der alles vorher gewusst hat? In einem vollgemüllten Wohnwagen. Überhaupt, die handelnden Personen: Jede einzelne Figur verdient den Präfix “Klischee-“. Es treten auf: Der Klischee-Russe (Milliardär, Ex-Boxer, rüpelhaft) mit seiner Klischee-Freundin (blond, schönheitsoperiert, mit Schoßhündchen) und zwei Klischee-Söhnen (aus erster Ehe, dick, verzogen), der Klischee-Präsident (edel, tüchtig, selbstlos) und sein Klischee-Stabschef (arrogant, zynisch, herzlos), ein Klischee-Wissenschaftler (bebrillt, gutaussehend, idealistisch), und, als Hauptfiguren, eine komplette Klischee-Scheidungsfamilie. Abziehbilder, allesamt, zum Mitfiebern untauglich. Unwillkürlich sucht man die bombastischen Szenen nach interessanteren Geschichten ab, findet aber keine. Nur Staffage, Menschenpuppen.

Also ergötzt man sich an den gigantischen Effektorgien, an der Zerstörungslust und an den durchchoreographierten Flucht- und Rettungsszenen. Verzeihlich, dass Risse im Boden und kollabierende Gebäude die Protagonisten grundsätzlich von hinten überfallen, als wäre der Weltuntergang kein Naturereignis, sondern ein sadistischer Schurke. Das ergibt zwar keinen Sinn, aber wunderschöne Verfolgungsjagden: Im Rücken der fliehenden Helden reißt krachend die Erde auf. Der ganze Film ist ein ungemein aufwändiger CGI-Porno – viel fürs Auge, nix fürs Hirn.

Wenn nach zweieinhalb Stunden dann alles vorbei ist und der scheußlichste Abspann-Song seit “Titanic” läuft, reift die Erkenntnis, dass der falsche Film gedreht wurde. Und man lieber 2011 oder 2013 gesehen hätte. In 2011 könnte verhandelt werden, wie sich die Menschheit auf einen Weltuntergang vorbereitet: Ist es legitim, 99,9 % der Erdbevölkerung im Ungewissen zu lassen? Ist es überhaupt möglich? Ist es zu ertragen? 2013 könnte zeigen, wie eine Restmenschheit eine neue Zivilisation errichtet. Wie sorgt man für Ordnung, wie verhindert man das Chaos? Wer erringt die Macht? Für diese Filme bräuchte man allerdings nicht nur CGI und tolle Bilder; man bräuchte gute Geschichten, ausgeklügelte Charaktere und den Willen, das Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu interessieren, gar zu irritieren. Für diese Filme bräuchte man also einen anderen Regisseur als Roland Emmerich.


Minarettverbot im Grundgesetz?

2. December 2009

Die Schweizer haben entschieden: “Der Bau von Minaretten ist verboten”. So hat es eine Volksabstimmung am vergangenen Sonntag in die Bundesverfassung schreiben lassen (zum Inkrafttreten siehe Art. 15 Abs. 3 BPR). Ab sofort lautet Art. 72 BV:

Art. 72 Kirche und Staat

1 Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig.
2 Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften.
3 Der Bau von Minaretten ist verboten.

Und in Deutschland? Könnte man diesen Satz ins Grundgesetz aufnehmen, z.B. als Art. 4 Abs. 4 GG, um hiesige Muslime, Lego-Architekten, Modelleisenbahner und Freizeitparkbesitzer in ihre Schranken zu weisen?

Antwort: Könnte man. Wird man aber nicht.

Der verfassungsändernde Gesetzgeber darf fast alles ins Grundgesetz schreiben, was er will, doch eine Grenze gibt es: Die Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) erklärt solche Grundgesetzänderungen für unzulässig, “durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden”. Geschützt sind damit u.a. die Menschenwürde, die grundlegenden Elemente des Rechtsstaats, des Sozialstaats, des Demokratieprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie etliche bundesstaatliche Vorgaben.

Die Grundrechte sind nicht allesamt von der Ewigkeitsgarantie geschützt. Erhalten bleiben müssen nur jene, die notwendig für die Durchsetzung der geschützten Prinzipien sind (BVerfGE 94, 49 ff., 102 f.). Unantastbar ist also die Meinungsfreiheit, ohne die der politische Prozess in einer Demokratie nicht funktioniert. Verzichtet werden könnte auf die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) oder auf die Freiheit der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG): Man kann sich einen demokratischen, sozialen Rechtsstaat vorstellen, der religiöse Betätigung vollständig untersagt. Eine nur teilweise Beschränkung dieser Grundrechte ist dann erst recht erlaubt: Religionsfreiheit bleibt ja gewährleistet, solange niemand Minarette baut. Auch die aus Art. 4 Abs. 1 GG abgeleitete Neutralitätspflicht des Staates (BVerfGE 93, 1 ff., 16 f.) ist nicht “ewig”.

Aber was ist mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) – wer Kirchtürme zulässt und Minarette verbietet, behandelt die Religionen doch ungleich? Selbst wenn: Nur einige “Grundelemente” des Gleichheitssatzes sind unantastbar, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 84, 90 ff., 127). Geschützt ist also die Gleichheit vor dem Gesetz als verfassungsrechtliches Konzept, nicht aber in ihrer heutigen, konkreten Ausprägung: Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist nicht gehindert,  die “positivrechtliche Ausprägung” der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze “aus sachgerechten Gründen zu modifizieren” (BVerfGE 94, 12 ff., 34). Wenn aber schon das Konzept der Gleichheit (in Maßen) umgestaltet werden darf, ist der Einzelne erst recht nicht davor bewahrt, qua Verfassungsänderung ungleich behandelt zu werden.

Es ist also verfassungsrechtlich zulässig, ein Minarettverbot ins deutsche Grundgesetz hineinzuschreiben. Täte man dies, stünde man vor einer weiteren Frage: Verstößt eine solche Bestimmung gegen Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)? Und was wäre die Rechtsfolge eines Verstoßes? In der Schweiz sucht man schon nach Antworten, für Deutschland gilt: Die EMRK ist bei der Interpretation des nationalen Rechts “zu berücksichtigen”, aber “kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab” (BVerfGE 111, 307 ff., 315 ff.)

Unwahrscheinlich aber, dass sich die Deutschen diese Frage einst tatsächlich stellen müssen. Eine Grundgesetzänderung per Volksabstimmung ist nicht möglich, die deutsche Verfassung trägt – wir sind da etwas vorsichtig geworden – einen dicken Panzer: Änderungen brauchen Zweitdrittelmehrheiten im Bundestag und im Bundesrat (Art. 79 Abs. 2 GG). Dass in Bund und Ländern eine derart große politische Mehrheit für ein Minarettverbot zusammenkäme, ist kaum vorstellbar.

Art. 72 Kirche und Staat

1 Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig.

2 Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften.

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