Die Schweizer haben entschieden: “Der Bau von Minaretten ist verboten”. So hat es eine Volksabstimmung am vergangenen Sonntag in die Bundesverfassung schreiben lassen (zum Inkrafttreten siehe Art. 15 Abs. 3 BPR). Ab sofort lautet Art. 72 BV:
Art. 72 Kirche und Staat
1 Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig.
2 Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften.
3 Der Bau von Minaretten ist verboten.
Und in Deutschland? Könnte man diesen Satz ins Grundgesetz aufnehmen, z.B. als Art. 4 Abs. 4 GG, um hiesige Muslime, Lego-Architekten, Modelleisenbahner und Freizeitparkbesitzer in ihre Schranken zu weisen?
Antwort: Könnte man. Wird man aber nicht.
Der verfassungsändernde Gesetzgeber darf fast alles ins Grundgesetz schreiben, was er will, doch eine Grenze gibt es: Die Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) erklärt solche Grundgesetzänderungen für unzulässig, “durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden”. Geschützt sind damit u.a. die Menschenwürde, die grundlegenden Elemente des Rechtsstaats, des Sozialstaats, des Demokratieprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie etliche bundesstaatliche Vorgaben.
Die Grundrechte sind nicht allesamt von der Ewigkeitsgarantie geschützt. Erhalten bleiben müssen nur jene, die notwendig für die Durchsetzung der geschützten Prinzipien sind (BVerfGE 94, 49 ff., 102 f.). Unantastbar ist also die Meinungsfreiheit, ohne die der politische Prozess in einer Demokratie nicht funktioniert. Verzichtet werden könnte auf die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) oder auf die Freiheit der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG): Man kann sich einen demokratischen, sozialen Rechtsstaat vorstellen, der religiöse Betätigung vollständig untersagt. Eine nur teilweise Beschränkung dieser Grundrechte ist dann erst recht erlaubt: Religionsfreiheit bleibt ja gewährleistet, solange niemand Minarette baut. Auch die aus Art. 4 Abs. 1 GG abgeleitete Neutralitätspflicht des Staates (BVerfGE 93, 1 ff., 16 f.) ist nicht “ewig”.
Aber was ist mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) – wer Kirchtürme zulässt und Minarette verbietet, behandelt die Religionen doch ungleich? Selbst wenn: Nur einige “Grundelemente” des Gleichheitssatzes sind unantastbar, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 84, 90 ff., 127). Geschützt ist also die Gleichheit vor dem Gesetz als verfassungsrechtliches Konzept, nicht aber in ihrer heutigen, konkreten Ausprägung: Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist nicht gehindert, die “positivrechtliche Ausprägung” der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze “aus sachgerechten Gründen zu modifizieren” (BVerfGE 94, 12 ff., 34). Wenn aber schon das Konzept der Gleichheit (in Maßen) umgestaltet werden darf, ist der Einzelne erst recht nicht davor bewahrt, qua Verfassungsänderung ungleich behandelt zu werden.
Es ist also verfassungsrechtlich zulässig, ein Minarettverbot ins deutsche Grundgesetz hineinzuschreiben. Täte man dies, stünde man vor einer weiteren Frage: Verstößt eine solche Bestimmung gegen Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)? Und was wäre die Rechtsfolge eines Verstoßes? In der Schweiz sucht man schon nach Antworten, für Deutschland gilt: Die EMRK ist bei der Interpretation des nationalen Rechts “zu berücksichtigen”, aber “kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab” (BVerfGE 111, 307 ff., 315 ff.)
Unwahrscheinlich aber, dass sich die Deutschen diese Frage einst tatsächlich stellen müssen. Eine Grundgesetzänderung per Volksabstimmung ist nicht möglich, die deutsche Verfassung trägt – wir sind da etwas vorsichtig geworden – einen dicken Panzer: Änderungen brauchen Zweitdrittelmehrheiten im Bundestag und im Bundesrat (Art. 79 Abs. 2 GG). Dass in Bund und Ländern eine derart große politische Mehrheit für ein Minarettverbot zusammenkäme, ist kaum vorstellbar.