Hässliche Juristensprache (1)

7. October 2009

Aus|fluss, der, -es, -flüs|se: Ein Sachverhalt, Zustand oder Umstand, der sich aus einem anderen Sachverhalt, Zustand oder Umstand ergibt. Wird gerne verwendet, wenn das Wort “Ausdruck” nicht saftig genug erscheint oder wenn dem Verfasser nicht einfällt, wie man es deutlicher sagen kann.

Beim Lektorieren einer hochschulrechtlichen Publikation fand ich binnen weniger Seiten folgende Anwendungsbeispiele:

“So ist etwa die Vereinbarung beamtenrechtlicher Versorgungsgrundsätze als Ausfluss der Vertragsfreiheit möglich.”

“Versorgungsrechtliche Ansprüche des Beamten ergeben sich als Ausfluss des im Beamtenverhältnis geltenden Alimentationsprinzips.”

“Waldeyer sieht demgegenüber das Zustimmungserfordernis bei allen Hochschullehrern als gegeben an, und zwar als Ausfluss der Wissenschaftsfreiheit.”

“Der Hochschullehrer ist als Ausfluss der Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich berechtigt, auch außerhalb des Aufgabengebiets, das ihm zugewiesen ist, zu lehren und zu forschen.”


Aktuelles Lexikon (2)

11. February 2009

Wilhelmsschrei, der, -s, -e: Geräusch, das →Chefredakteuren entfährt, wenn sie feststellen, dass auch ihre Redaktion den Falschinformationen eines Wikipedia-Clowns aufgesessen ist.

Hier anhören

Jetzt müsste nur noch der Wikipedia-Eintrag entsprechend ergänzt werden.

Nachtrag: Die Titanic hat das zugrunde liegende Phänomen anschaulich illustriert (via)


Informelle Selbstbestimmung

21. April 2008

Katz und Goldt machen sich über langweilige Juristen lustig und patzen* bei der Pointenplatzierung: Es ist natürlich die in-for-ma-tio-nelle Selbstbestimmung. Bitte keine Beschwerdemails schreiben, sonst zeichnen sie noch mehr Juristen! Kleiner Trost: Das passiert nicht nur Comiczeichnern, sondern auch

Sogar ein waschechter Juraprofessor soll schon erwischt worden sein, munkelt man. Ähem.

*Nachtrag: Richtig muss es nun heißen: “patzten”. Sie haben es berichtigt. Nicht mehr nachvollzogen werden kann, ob sie die ganze Sprechblase neu schreiben mussten.


Oh my God, it’s a mirage, I’m telling y’all, it’s…

12. March 2008

Kabotage! Wieder ein neues Wort gelernt.


Aktuelles Lexikon (1)

1. March 2008

Ex-Post-Chef, der; -s, -s: →Chef, der Anordnungen gibt, wenn die Sache schon gelaufen ist (→Ex-Ante-Chef).


Klare Urteilssprache

21. December 2007

Das BVerfG hat gestern entschieden, dass die Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44b SGB II gegen die Verfassung verstoßen. Diese Arbeitsgemeinschaften werden gemeinsam von den Kommunen und der Bundesarbeitsagentur getragen. Das ist unzulässig, meint das BVerfG (2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04). Ein solches Zusammenwirken verletze die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden.

Tiefergehende rechtliche Ausführungen hierzu hebe ich mir für meine Dissertation auf, die sich mit diesem Thema beschäftigt (“Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Mischverwaltung”). Das Gericht hat mir mit dieser ersten wirklich umfangreichen Betrachtung einerseits viel Arbeit, andererseits auch viel Stoff abgenommen – beim Lesen dachte ich abwechselnd: “Genau!” und “Aber das wollte ich doch…?” Immerhin haben drei Richter eine Mindermeinung angefügt. Da ist also noch Musik drin!

Über die Rechtsfragen hinaus ist die Sprache des Urteils interessant. Berichterstatter in dem Verfahren war Rudolf Mellinghoff, aber ich würde darauf wetten, dass folgende Sätze von Gertrude Lübbe-Wolff stammen:

“Der Bürger muss wissen können, wen er wofür – auch durch Vergabe oder Entzug seiner Wählerstimme verantwortlich machen kann” (Abs. 158)

“Mangelnde politische Einigungsfähigkeit kann keinen Kompromiss rechtfertigen, der mit der Verfassung nicht vereinbar ist” (Abs. 174)

“Damit ist die Personalführung in einem unaufhebbaren Dilemma zwischen faktischer Entleerung der kommunalen Personalhoheit und sachwidrig verkürzter Einflussmöglichkeit des Geschäftsführers gefangen” (Abs. 199)

Schöne Rechtssprache ist möglich, wie diese Sätze bezeugen. Verfassungsrechtsprechung muss nicht immer grau und nüchtern ausfallen. Es ist zugegeben schwer, eine kräftige Sprache zu pflegen, wenn sich nichts bewegt: Die rechtliche Würdigung erklärt, wie es ist, nicht, was geschieht. Im Verfassungsrecht, wo jeder mitreden will, muss man außerdem besonders aufpassen, nicht falsch verstanden zu werden. Umso mehr beeindrucken diese klaren Worte und der Wille zur Zuspitzung rechtlicher Probleme auf den entscheidenden Punkt.

Auf Frau Lübbe-Wolff tippe ich, weil sie das öfter so macht. In Hochform findet man sie bei ihrer abweichenden Meinung zum letzten Neuwahlen-Urteil. Außerhalb der engen Fahrrinne einer Urteilsbegründung hat sie es dort ordentlich krachen lassen – sehr überzeugend, mindestens aber sehr lesenswert.


Oktober 2007: Nächtliche Begegnung

9. October 2007

Manfred schaut mich fragend an, ich weiß nicht genau, was er will, aber ich nicke. Da nimmt er die Hand seines Sohnes, streichelt sie, schließt die Augen und atmet tief durch.

“Kalt”, sagt er und ich nicke wieder. “Muss wohl so sein”, sagt Manfred und wieder nicke ich. Was soll ich auch sagen?

Dieser Text greift mit kühlen Händen ans Herz wie ein Song von Interpol. Klare, endgültige Melancholie. Zuletzt so gut war Bradbury.


Konsensregel, Konfliktausnahme

1. October 2007

Kompositionen sind die Tüllschleifchen der deutschen Sprache. Die Möglichkeit, mehrere Begriffe in einem Wort zu kombinieren, gebiert Schönheiten wie Augenblick, Schadenfreude oder Auslegeware, aber auch Ungeheuer wie Netzausscheidungsziffer oder Nassauskiesung. Besonders wir Juristen haben da einige Sünden begangen.

Eine Variante der Komposition ist die Determination: Das erste Wort (“Kopf”) bestimmt den Charakter des zweiten Wortes (“Kern”). Ein Beispiel: Ein Haus ist ein ein-, zwei- oder dreistöckiges Gebäude, in dem Menschen wohnen. Ein besonders hohes Haus ist ein Hochhaus, ein Haus für Autos ist ein Parkhaus. Der “Kern” wird durch den “Kopf” etwas Besonderes.

Und jetzt betrachten wir eine Meldung von SPIEGELOnline:

Huber hatte sich am Samstag auf einem Parteitag in München in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gegen Bundesagrarminister Horst Seehofer und die Fürther Landrätin Gabriele Pauli klar durchgesetzt.

Es war keine Abstimmung, es war eine Kampfabstimmung. Der Antritt zweier Gegenkandidaten war außergewöhnlich und brauchte besondere Betonung. Normalerweise beschließen Parteitage nämlich nach Art der DDR. So zeigt unsere Sprache, wie kuschelig wir dort sind, wo wir es eigentlich nicht sein sollten: Kampfkandidatur, Konfliktverteidigung, Fundamentalopposition. Der Konsens ist die Regel. Der Konflikt ist die Ausnahme. Nicht nur bei SPIEGELOnline.

Bonustrack: Das längste nicht zusammengesetzte deutsche Wort ist Unprämonstratenserinnenschaftlichkeit (Quelle: irgendwo im Internet).


Drittmittelprosa

28. August 2007

“Ziel des Programms ist es, mit einem strukturellen Ansatz in der öffentlichen Forschung den Wissens- und Technologietransfer von vornherein als Ziel zu integrieren. Die Förderung fokussiert insbesondere auf die optimierte Nutzung interner Ressourcen, um die Trennung von marktgetriebener industrieller und erkenntnisgetriebener öffentlicher Forschung zu überwinden.”

Das Bundesministerium für Bildung (!) und Forschung erklärt ein neues Förderprogramm.

Hier die Übersetzung:

Unternehmen forschen, um Kunden zu gewinnen, Hochschulen forschen, um Erkenntnis zu gewinnen. Wir möchten, dass sie besser zusammenarbeiten und loben hiermit Geld aus für gute Vorschläge.